Lieferprobleme und Preiserhöhungen

Warum es in der Branche klemmt

Wie schnell das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage aus der Balance geraten kann, zeigt derzeit die Lieferproblematik. Weltweit und auch in der Möbelbranche eine Entwicklung, die sich sogar noch verschärft und deren Ende nicht absehbar ist. Der „küchenprofi “ hat bei einigen Protagonisten nach den „gefühlten“ Perspektiven gefragt.

Man muss nur in den Baumarkt gehen, um festzustellen, wo Lücken in der Zulieferkette bestehen. Holz und Spanplatten, selbst Schrauben sind Mangelware. Auch bei anderen Baustoffen wie Zement, Stahl und Dämmmaterial wird es eng. Computerchips, Grafikkarten, Kunststoffe und auch Fahrradzubehör: In vielen Bereichen bestehen nun lange Wartezeiten. Währenddessen reiben sich die Börsenprofis schon in Erwartung eines neuen Superzyklus im „Jahr der Rohstoffe“ die Hände. Der wohl wichtigste Hintergrund ist die sogenannte „V-Entwicklung“, bei der im ­Corona-Jahr 2020 die Rohstoffnachfrage nach einem kurzfristigen Absturz durch die Lockdown-Ausfälle im globalen Materialfluss einen steilen Anstieg erlebte. In puncto Holz kommt hinzu, dass die ­Sägewerke in den USA nicht mehr die hohen Kapazitäten für den Bauboom schaffen und auch China reichlich abschöpft, gerade von deutschen Produzenten. Und im IT-Bereich zeigt die Digitalisierungswelle ­Folgen. Ein Dilemma, das jeden trifft. Natürlich auch die Küchenbranche.

Wie der VDM jüngst durch seine Umfrage in der deutschen Möbelindustrie insgesamt festgestellt hat, hat sich die Versorgungssituation, die schon zu Jahresbeginn von sich reden machte, bis Mai weiter zugespitzt. „Inzwischen ist die Produktion bei rund der Hälfte der Unternehmen aufgrund von Materialengpässen eingeschränkt, vielfach sind Produktionstage weggefallen“, ­resümierte Verbandsgeschäftsführer Jan Kurth, das Feedback, zudem sei „keine Entspannung auf der Beschaffungsseite in Sicht.“ Aus der Küchenmöbelsparte berichtet gut ein Drittel der Hersteller, dass ihre Produktion im Mai aufgrund geringerer Materialverfügbarkeit eingeschränkt war. Die stärkste Verknappung besteht neben dem bekannten Mangel an Geschirrspülern, Kühlgeräten und inzwischen auch Backöfen, bei beschichteten Spanplatten, Metallteilen, Beschlägen und Funktionselementen. Angesichts der hohen Nachfrage dreht sich indes die Preisspirale unaufhörlich nach oben: Für das dritte Quartal werden von Spanplatten, Metallteilen, Beschlägen, Funktionselementen, bis zu Verpackungsmaterialien weitere Preis­steigerungen erwartet, so berichtet Jan Kurth. Da klingt es schon paradox, wenn die Branche einen weiteren Auftragsboom fürchten muss, weil sie diese womöglich nicht mehr bedienen kann. Nach den jüngsten VdDK-Zahlen für April erreichte vor allem die Order aus dem Ausland einen neuen Höchststand. Aus der Perspektive des deutschen Küchenhandels äußerte sich Heribert Fröschen, Geschäftsführer KSV, Ende Mai besorgt: „Wir beobachten, dass nun auch Probleme in den Bereichen Spülen und Küchenmöbel festzustellen sind.“ Statt einer Entspannung rechnen er und die Verbandskollegen vom Europa Möbel-Verbund (EMV) mit weiteren Verschärfungen.

„Alle horten und bunkern über Bedarf.“

Später als bei den Kollegen der Polster- und Wohnmöbelsparte kamen Alarmzeichen aus der Küchenbranche. Darüber hinaus scheint die Brisanz unterschiedlich auszufallen. Auch unter den Top 5 der Küchenmöbelindustrie. Während im Handel die Lücken allgemein deutlich spürbarer wurden, war selbst Anfang Juni zu hören, dass manch einer noch „voll lieferfähig“ war. Allen voran Marktführer und Umsatzmilliardär Nobilia. So erklärte Geschäftsführer Dr. Lars Bopf anlässlich der Werkseröffnung in Saarlouis Mitte Mai, von der Knappheit bei Holzteilen oder Elektrogeräten bisher nicht in der Lieferbereitschaft eingeschränkt zu sein. Denn: „Nobilia fährt eine Strategie, bei der wir Sicherheitsbestände bevorraten, um auf mögliche Schwankungen bestmöglich vorbereitet zu sein. Das Bevorraten ist sehr kostenintensiv, aber wir profitieren davon.“ So sieht sich Europas Nr. 1 bis dato auch für das weitere Wachstum nicht durch Zulieferprobleme ausgebremst. Dies wurde auch Mitte Juni nochmals bekräftigt. Wobei Dr. Bopf eine vorausschauende Planung und den Aufbau von Reserven als langjährige Strategie anführte, um „ein verlässlicher Partner und Lieferant“ zu sein. Was im Umkehrschluss nichts anderes heißt als: Wettbewerbsvorteile zu nutzen, gerade wenn andere nicht dieselbe Leistung bringen. Und zudem das Risiko zu vermeiden, dass dem großen Tanker „der Treibstoff“ ausgeht, mit fatalen Folgen. Ebenso wie der Schutz der Human Ressources durch das eigene Impfzentrum und weitere Sicherheitsmaßnahmen dazu beiträgt.
Trotz hoher Auftragsbestände blieb indes auch die Baumann Group bei leichten Verzögerungen in vollem Umfang lieferfähig, wie Geschäftsführer Matthias Berens auf Nachfrage bestätigte. Neben guter Vorratsplanung wird mehr darauf geachtet, bei den Vorlieferanten nicht nur „auf ein Pferd zu setzen“, sondern die Ressourcen flexibler zu gestalten. Für fehlende Elektrogeräte wird meist Ersatz durch andere Modelle oder Marken angeboten. Anders als bei „Spanplatte weiß beschichtet“ komme es bei farbigen Dekoren außerhalb des Standardrepertoires zu Ausfällen. Denn: „Die Frontenzulieferer decken zuerst das Brot- und Butter-Geschäft ab, bevor sie Platten mit Sonderfarben produzieren.“ Überdies zeige sich aber auch in der Materialbeschaffung eine Art „Triage“-Effekt, bei dem die großen Unternehmen als Mengenabnehmer im Wettbewerb um die Rohstoffe ohnehin die besseren Karten haben. Während zugleich die hohen Preise drücken, ob bei Holzwerkstoffen, Chemikalien, Scharnieren, Auszügen oder Spülen. Bislang wurden Erhöhungen nur bei Geräten weitergeben, aber das kann sich bald ändern, wie Berens andeutet: „Wir analysieren die Entwicklung täglich“. Womöglich werde sich die Situation nach den Sommerferien beruhigen, wenn die angehäuften Bestände bei vielleicht nachlassender Nachfrage erst einmal aufgebraucht werden. Denn auch dies ist eine Tatsache: „Alle horten und bunkern über Bedarf“.  

Logistische Probleme in der Geräteindustrie

Anders als bei den Küchenmöbelherstellern, die Teile überwiegend aus Deutschland oder ggf. aus dem europäischen Ausland wie Italien von festen Partnern beziehen, sind für die Geräteindustrie internationale Beschaffungsmärkte entscheidender. So bleibt die Frage, wie es hier weitergeht. Zumal die Versorgungsprobleme schon seit Ende des letzten Jahres bestehen und auch von logistischen Faktoren im Warenverkehr mit Fernost abhängen. Für den südkoreanischen Konzern Samsung antwortete Martin Alof, Vertriebsleiter Möbel- und Küchenfachhandel, im Mai: „Wir haben schon letztes Jahr Produktionsausfälle in Asien relativ schnell durch eine Logistikumstellung abfedern können. Zulieferteile kamen per Flugzeug statt mit dem Schiff. Zudem lassen wir viele Produkte in Europa produzieren und sind dadurch von Engpässen in Asien nicht so massiv betroffen.“ Bestellte Waren werden innerhalb von 24 Stunden bis drei Tagen nach Bestellung ins Lager der Kunden geliefert, so heißt es. Selbst höhere Frachtkosten im Containergeschäft sollen momentan nicht auf Vertriebsaktivitäten umgelegt werden, um das Vertrauen zu den Partnern im Fachhandel nicht zu stören.
Eine Schlüsselrolle für den Preiswettbewerb spielt nicht zuletzt die BSH. Dazu sagte Volker Klodwig, Executive Vice President Sales Europe, auf Nachfrage: „Als Europas Hausgerätehersteller Nummer 1 beobachtet die BSH in den ersten Monaten des Jahres weiterhin einen europaweiten, signifikanten Anstieg beim Bedarf und der Nachfrage nach Hausgeräten.“ Dass die industriellen Kapazitäten, vor allem bei Geschirrspülern und Kühlgeräten, überlastet sind, wird mit dem Stay-at-Home-Effekt erklärt. Entsprechend verlängern sich modellabhängig die Lieferzeiten um mehrere Wochen. Und dass gerade Geschirrspüler besonders gefragt sind, liege auch an der noch nicht so starken Durchdringung in den europäischen Haushalten. Für die Verknappung bei bestimmten Vorprodukten, wie beispielsweise speziellen Halbleiterbauteilen, seien unterschiedliche Einflüsse maßgeblich, deren Folgen noch nicht abschließend bewertet werden können: „Wir sind grundsätzlich immer bestrebt, Volatilitäten im Markt ohne Preiserhöhungen abzufedern.“ Überhaupt sind die Perspektiven für ­Klodwig schwer abzuschätzen. Doch der Trend zum Kochen im eigenen Zuhause habe sicher auch nach der Pandemie Bestand.

Lieferprobleme hat auch Blanco erlebt. Immerhin konnte der Umstieg auf andere Beschaffungsquellen und Luftfracht viele Probleme auffangen. 2021 bleibt die Lieferperformance eine zentrale Herausforderung vor dem Hintergrund der Versorgungsengpässe bei Kunststoffgranulat, Chips und auch Stahlbändern. Dennoch will der Spülenhersteller keine Preiserhöhungen vornehmen, sondern durch eigenes Kostenmanagement abfedern. Zudem werden Sonderschichten gefahren und Kapazitäten durch Neueinstellungen erhöht, um die Nachfrage zu erfüllen. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Logistik, die aus Mangel an Verpackungsmaterialien ins Stocken kommt. In puncto Verfügbarkeit als auch bei der Lieferzeit und dem Preis spricht ­Geschäftsführer Marcus Kirschner vom Branchen­verband HPE von einer mehr als angespannten Situation: „Am schlimmsten sieht es bei den ­Einkaufspreisen für Schnittholz aus. Preisangaben der Holzhändler seien meist nur 24 bis 48 Stunden, maximal für eine Woche gültig.

Einerseits Brüche in der Lieferkette, andererseits boomende Aufträge: Wie lange wird dieser Teufelskreis anhalten, der für fremde Ohren auch wie „Leiden auf hohem Niveau“ klingt? Seriöse Prognosen kann derzeit niemand geben, manche rechnen bis 2022, andere sogar bis Anfang 2023. Mit dem aktuell größten Fragezeichen versehen ist die Weitergabe der erhöhten, zugleich volatilen Kosten an den Handel: Vielerorts wird erwartet, dass Möbel-, Geräte- und Zubehörlieferanten diese in ihren Katalogen 2022 abbilden. Doch in welcher Höhe? Einerseits erschweren die fast täglichen Schwankungen im Materialeinkauf die Kalkulation, andererseits will wohl kein Hersteller der erste mit einer klaren Preisaussage sein. Zumal wenn der Hauptkonkurrent dies anders „wegsteckt“. Auf jeden Fall bleibt es eine Herausforderung, die Unwägbarkeiten künftiger Entwicklungen vorausschauender zu managen.

Heike Lorenz, aus der küchenprofi 2/21

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